Unser Buch des Monats Juni 2025
Martin Simons: Peter Riedel - 10 bewegte Jahre aus dem Leben einer Fliegerlegende.
Was für ein Buch! Nicht mehr ganz neu, in 2. Auflage 2024 erschienen, 564 Seiten, 25 €.
Allein wie dieses Buch zustande kam, ist ungewöhnlich.
Nicht nur die Biographie eines Pioniers der Segelfliegerei und schillernden Figur der späten 20er und 30/40er Jahre. Vor allem die Schilderung seines Lebens von 1937 bis 1948 in den dunklen Jahren der Nazi-Herrschaft sowie im Chaos und Wirren der Nachkriegsjahre ist spannend und facettenreich. Ich habe es fast in einem Zug durchgelesen.
Das Ganze erscheint in unserer krisengeschüttelten Zeit hochaktuell und mich beschlich bei der Lektüre hin und wieder ein mulmiges Gefühl!
Martin Simons schreibt die Biographie Peter Riedels in Ich-Form. Er schöpft dabei aus den umfangreichen Tagebuchaufzeichnungen, Notizen und Gesprächen mit Riedel als Flieger, Ingenieur und Luftwaffenattaché in den USA und später in Schweden.
Riedel ist hin- und hergerissen zwischen seinen Gefühlen und Idealen: geboren 1905, aufgewachsen und erzogen mit preußischen Idealen wie Pflichterfüllung, Loyalität und Patriotismus auf der einen und seinen stetig wachsenden Zweifeln am Nazi-Regime und Krieg in Europa auf der anderen Seite. Das vor dem Hintergrund der offenen, liberalen und freien Gesellschaft in den USA, die er bewundert.
Schon früh überlegt er, sich in den USA einbürgern zu lassen. Seine Heirat mit einer Amerikanerin verstärken die Zweifel an seinem Heimatland
Durch seine großen Erfolge und Kenntnisse in der (Segel-)Fliegerei sowie Kontakte als Diplomat, mit seinem scharfen Verstand und gutem Urteilungsvermögen zählte Riedel bis in die frühen 40er Jahre sicherlich zu den bestinformierten Deutschen und das, ohne in höhere Chargen des Militärs oder der Partei aufgestiegen zu sein. Er war ein bemerkenswerter Netzwerker - übrigens auch Liebling der Frauen.
Allerdings verleugnet er nicht – und Simons verharmlost das aus meiner Sicht – Teil des Systems zu sein und davon auch kräftig zu profitieren. Riedel kamen schon rel. früh Gerüchte über die Abgründe des Nazi-Regimes zu Ohren. Er konnte/wollte das aber nicht wahrhaben.
Er war befreundet mit großen Namen der damaligen Fliegerei, vor allem mit Ernst Udet und Hanna Reitsch, kannte viele, die in der Flugzeugindustrie und Luftwaffe Nazideutschlands Karriere machten. Sie hatten sich auf verschiedenen Segelflugwettbewerben auf der Wasser-kuppe kennen und schätzen gelernt, tingelten gemeinsam auf Kunstflugveranstaltungen durch die Welt. Echte Weltenbürger.
In seiner Zeit als Militärattaché erstellt er fundierte Berichte über die Leistungsfähigkeit der US-Luftfahrtindustrie, später nach Kriegseintritt der USA in gleicher Funktion in Stockholm. Nur: seine brisanten Berichte und Analysen trafen bei seinen Vorgesetzten auf Ablehnung, geschweige denn, dass sie in Berlin zu Konsequenzen führten oder ernst genommen wurden. Intrigen und Karrieredenken – auch Ängste - in Militär und Ministerien bewirkten ihr übriges.
Seine Prognosen stellten sich später als völlig richtig heraus.
An der Fliegerei dieser Jahre interessierte Leserinnen und Leser kommen so voll auf ihre Kosten. Riedel schildert seine und anderer Spitzenleistungen im Segelflug der 30er Jahre, vor allem aber die flugtechnischen Entwicklungen und Potentiale der USA dieser Zeit sowie einige damals beiderseits des Atlantiks entwickelten Militärflugzeuge.
Seine inneren Konflikte und die zunehmende Gefahr, von der Gestapo wegen Wehrkraftzersetzung verhaftet zu werden, führen schließlich zum Bruch mit dem Regime.
Riedel desertiert Ende 1944.
Das letzte Viertel des Buches erzählt die Odyssee seiner Flucht und liest sich wie ein Abenteuerroman. Schließlich kommt er über viele Umwege (incl. Gefängnisaufenthalte) in die USA und kann – wieder vereint mit seiner Frau - seinen Traum der Einbürgerung verwirklichen.
RM
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