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Unser Modell des Monats Oktober 2023 Bachem BA 349

Theoretischer Superlativ…Die Bachem Ba 349 ´Natter´  

Vom Original zum Modell

Ein eigenständiger Teil der Sammlungen des Luftfahrtmuseums Hannover-Laatzen sind die mehr als 1.000 Maßstabsmodelle, vornehmlich der internationalen Standards 1/72, 1/48 und 1/32.

Solche originalgetreuen Miniaturen ermöglichen Betrachtern musealer Technikgeschichte den „Überblick“, nicht allein auf das einzelne Exponat (mitunter sogar als einzige Möglichkeit der realen dreidimensionalen Schau, wenn es kein erhaltenes Original mehr gibt), sondern auch auf Entwicklungslinien des Flugzeugbaus durch hier mögliche Reihung und Gegenüberstellung. Manchmal schließen sie sogar Lücken in der Präsentation der Originale. Ihre kunsthandwerkliche Qualität allein ist ein Schauvergnügen.

Die Bachem Ba 349 Natter ist mit drei Exponaten Im Maßstab 1/72 im Museum vertreten, davon eines in einem szenischen Diorama. Fürs Museum gebaut wurden die Miniaturen von Hans-Peter Dabrowski und Olaf Molkenthin, beide Hannover, und Peter Heck, Korschenbroich.

Heute stellen wir Ihnen in unserer Reihe ´Modell des Monats´ den raketengetriebenen Abfangjäger Bachem Ba 349 ´Natter´ von 1944 vor – ein Flugzeug der Superlative ohne Einsatzhistorie: Der einzige bemannte Flug kostete den Testpiloten das Leben.

Die Modelle:              Spritzguß, Vacuform & Diorama

Der klassische Spritzguß-Kit der Ba 349 in 1/72 kam 1978 von Heller aus Frankreich (in einem Doppelpack zusammen mit der Fi 103, als “V1“ erster praktischer Marschflugkörper) und wurde von verschiedenen Folgeunternehmen und Lizenznehmern nachproduziert. Daneben brachte der kleine kanadische Anbieter AIRFRAME einen Vacuform-Bausatz des Typs heraus, der einmal überarbeitet neu editiert wurde.

Das Museum zeigt zwei einzelne Exemplare des Typs und ein Diorama in den 1/72-Modellvitrinen der Halle 2.

Das Original:              Hätte wäre wenn…

Was kann an einem nur 6,10 m kurzen Fluggerät aus Holz und Leichtmetall mit einer Spannweite von 3,60 m, von dem nur etwa 35 Stück gebaut wurden und keines davon je einen Einsatz geflogen ist, so bemerkenswert sein?

Tatsächlich war diese Maschine die revolutionärste und weitgreifendste Konstruktion eines Objektschutz-/Abfangjägers im zweiten Weltkrieg und hat den Militärflugzeugbau ab 1945 vor allem der USA nicht unerheblich beeinflusst.

Eine einsatzbereite Ba 349 wird von der Mannschaft mit zwei PS aus einem Tunnelbunker zur Startrampe bewegt. Szenisches Diorama aus dem letzten Kriegsfrühjahr. Dieses lebendige Schaubild im Schnee kann allerdings nur eine Übung zeigen, denn in den scharfen Einsatz kamen die Natter-Jäger nicht.

Einzigartig in der Verbindung von Hochtechnologie und Simplizität, bot die vom Luftfahrtpionier Erich Bachem entworfene Ba 349 ´Natter´ (errechnete) Höchstleitung in einem kostengünstigen, für die dezentrale Massenproduktion optimierten Einwegflugzeug, welches mit einem Minimum sowohl an kriegswichtigen Rohstoffen wie auch an Bodenorganisation per Senkrechtstart von einem Gittergerüst fast überall einsetzbar war.

Dass die Ausschreibung für einen solchen Abfangjäger im „Jägernotprogramm“ nicht von einer der großen und eingeführten Firmen gewonnen wurde, sondern von dem kleinen Konstruktionsbüro und Luftfahrtzulieferer Bachem in Waldsee/ Oberschwaben, war überraschend.

Bemanntes Geschoß

Den Antrieb lieferte ein Walter HWK 109-509 A-2 Raketentriebwerk, wie es bereits erfolgreich (wenngleich im Einsatz nicht gefahrlos) in der Messerschmitt Me 163 verbaut wurde; ergänzt von vier Schmidding Starthilfsraketen, die abwurfbar seitlich am Heck montiert wurden. Damit erreichte die Natter eine theoretische Steiggeschwindigkeit von rund 12 Kilometern Höhe in einer Minute – „Weltrekord“ mit allerdings entsprechender physischer Belastung des Piloten.

So konnte die Ba 349 in der Objektverteidigung alliierte Fernbomber nach Sichtung aus dem Stand und ohne Reaktionsmöglichkeit der Begleitjäger attackieren – oder besser: hätte können, denn dazu kam es nicht…

Die Bewaffnung bestand aus einer Batterie ungelenkter Raketen im Bug, wobei zwischen zwei Kalibern gewählt werden konnte. Die Pilotenschulung konnte auf die wenigen Sekunden Zielanflug zwischen Autopilot-Steuerung und dem Fallschirmabsprung, welcher den Einsatz beendete, minimiert werden. Das Triebwerk sollte ebenfalls per Fallschirm geborgen und wiederverwendet werden – kurz: da war sie, die „Wunderwaffe“ gegen alliierte Bomberströme, nach welcher die politische Führung des Dritten Reiches in der deutlich absehbaren Niederlage so dringend verlangte.

Teilmontage des Vacuform-Kits der Ba 349 von AIRFRAME: Wo Spritzgußmodellbauer beginnen, sind Vacu-Bauer schon mittendrin: die Teile müssen zunächst aus der Platte geschnitten und feingeschliffen, angepasst und mit „Gräten“ versehen werden.

Im letzten Kriegsjahr zog die SS die Entwicklung und Produktion bis Einsatz aller sogenannten „Vergeltungswaffen“ in ihre Zuständigkeit. Zumeist waren dies technisch wegweisende raketen- und düsengetriebene bemannte und unbemannte Flugkörper. Und dieses Patronat und die rücksichtslose Projektdurchsetzung ermöglichte auch bei der Natter im allgemeinen Mangel 1944/45 noch Konstruktion und Erprobung zunächst bemannter Schlepp- und Gleitflüge ohne Triebwerk, später unbemannte Starts mit Antrieb, welche von November 1944 bis Februar 1945 erfolgreich verliefen.

Totalverlust

Doch der erste bemannte Testflug am 1. März ´45 auf dem Ochsenkopf endete nach wenigen Sekunden mit Absturz und Tod des Testpiloten Lothar Sieber. Die genaue Ursache ist nicht feststellbar, wahrscheinlich ist ein technischer Defekt mit daraus folgender tödlicher Verletzung des Piloten noch vor dem Aufschlag. Tatsächlich wäre wohl auch im Einsatz die entfesselte Leistung an die Belastungsgrenze für Mensch und Material gegangen. So tragisch ein solcher Flugunfall ist, muss er doch nicht das Ende einer Konstruktionsidee bedeuten – viele Flugzeugtypen weltweit wurden nur unter solchen Opfern später zu erfolgreichen Einsatzmustern.

Doch im militärischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch Deutschlands blieb weder Zeit noch Möglichkeit zu Korrekturen. Zwar wurden insgesamt zwischen 32 und 40 Maschinen gefertigt und ihre Handhabung geprobt, doch gibt es keinen Hinweis auf weitere Tests oder gar einen scharfen Einsatz in den letzten Wochen des Krieges.

Noch einmal die „Wunderwaffe in spe“, hier auf dem hölzernen Wartungsgestell und mit geöffneter Cockpithaube. Seitlich am Heck die Schmidding Starthilfsraketen.

Nachleben

Die technischen Kommissionen der US-Army, welche die Vielzahl an deutscher Spitzentechnologie bei Kriegsende beschlagnahmen und auswerten sollten, nahmen sich jedoch auch der Natter mit großem Interesse an. Neben Konstruktionsplänen und Testergebnissen verschifften sie mindestens drei einsatzbereite Ba 349 in die USA.

Sicher ist, dass die Auswertung dieser Beutestücke zur Entwicklung von Raketenantrieb und -bewaffnung, zu taktischen Erkenntnissen wie ganz allgemein zur Hochgeschwindigkeitstechnologie beitrugen, wenngleich die Natter anders als z.B. die Messerschmitt P. 1101 und die Fi 103 dort nicht nachgebaut oder weiterentwickelt wurde.

Datenblatt Ba 349 A

Besatzung: 1// Spannweite: 3,60 m// Länge: 6,10 m// Höhe (im Flug): 2,25 m// Tragflügelfläche: 3,6 m²// Antrieb: 1x Walter HWK 109-509 A-2 mit 1.700 kp Standschub und 4x Schmidding 109-533 mit je 1.200 kp Standschub// Errechnete Höchstgeschwindigkeit: 1.000 km/h// Steigleistung: 12.000 m/ min.// Flugdauer mit Antrieb: ca. 70 Sek.// Reichweite: 40 km// Bewaffnung: 24x 73mm oder 33x 55mm Raketengeschosse im Bug.

So hätte eine Natter im Steigflug ausgesehen. Unser Vacu-Kit auf Glas gegen den Himmel fotografiert.

Konnten wir Sie neugierig machen? Dann besuchen Sie uns im Luftfahrtmuseum – über 40 Schul-, Jagd-, Passagier- und Sportflugzeuge, Hubschrauber und Segelflugzeuge im Original und originalgetreuen Nachbau, eine große Motoren- und Turbinenabteilung, und rund 1.000 Maßstabsmodelle warten auf Sie!     

sb